Hauskatzen im Wandel – 1800–1900
Das 19. Jahrhundert war für die Katze eine Zeit der Gegensätze. Einerseits war sie allgegenwärtig – in Ställen, auf Höfen, in Vorratskammern, sogar an Bord von Schiffen.
Andererseits blieb sie ein Schattenwesen, das man zwar schätzte, aber kaum beachtete. Sie war nützlich, doch selten geliebt.
Viele Katzen lebten unbeachtet im Verborgenen, kämpften ums Überleben und waren vollständig auf ihre eigenen Instinkte angewiesen.
Ihre Nähe zum Menschen beruhte weniger auf Zuneigung als auf Zweckmäßigkeit. Erst gegen Ende des Jahrhunderts begann sich ein vorsichtiger Wandel abzuzeichnen.
Haltung – geduldet, aber nicht verwöhnt
Die typische Katze des 19. Jahrhunderts lebte auf dem Land. Dort war sie unersetzlich als Mäuse- und Rattenfängerin. Auf Bauernhöfen durfte sie in Scheunen und Vorratsräumen streifen, manchmal auch ins Wohnhaus, doch ein „Stubentiger“ war sie nicht. In den Städten sah man Katzen eher in Hinterhöfen oder Gassen. Sie führten ein freies, oft hartes Leben – nah genug am Menschen, um zu profitieren, aber fern genug, um nicht wirklich Teil der Familie zu sein.
Ernährung – zwischen Beute und Abfällen
Futter aus der Dose oder dem Beutel gab es nicht. Katzen hielten sich am Leben, indem sie Mäuse, Ratten und Vögel jagten. Wer Glück hatte, bekam Küchenabfälle – Knochenreste, etwas Milch oder Brotkrumen. Von einer ausgewogenen Ernährung war das weit entfernt. Mangelerscheinungen waren häufig, viele Tiere blieben kleinwüchsig oder wurden nicht alt. Erst in wohlhabenderen Haushalten wurde vereinzelt Fleisch oder Fisch gezielt „für die Katze“ abgezweigt – ein Vorbote späterer Veränderungen.
Pflege – Selbstversorger mit Risiken
Pflege im heutigen Sinn existierte im 19. Jahrhundert nicht. Bürsten, Krallenscheren oder Kratzmöbel waren unbekannt, und Katzen reinigten ihr Fell allein mit der Zunge. Verletzungen heilten oft von selbst, entzündeten sich aber auch schnell und endeten nicht selten tödlich.
Floh- und Wurmbefall gehörten zum Alltag und wurden als selbstverständlich hingenommen. Katzenstreu gab es nicht; die Tiere suchten sich draußen, in Scheunen oder in Hofecken ihre Plätze. Wer sie ins Haus ließ, musste mit Gerüchen, Schmutz und Spuren leben – ein Grund, warum Wohnungskatzen damals noch die Ausnahme waren.
Gesundheit – das „unsichtbare“ Tier
Die Tiermedizin entwickelte sich zwar im 19. Jahrhundert, aber Katzen spielten darin kaum eine Rolle. Veterinäre konzentrierten sich auf Nutztiere wie Pferde oder Kühe. Hunde fanden schon eher Beachtung, weil sie als Arbeitshunde wertvoll waren. Katzen dagegen blieben am Rand. Krankheiten wie Tollwut oder Seuchen verbreiteten Angst, doch ein krankes Tier wurde meist sich selbst überlassen. Frühe Tierärzte hielten Katzen nicht für „behandlungswürdig“, und so blieb ihre Gesundheit dem Zufall überlassen.
Kulturelle Wahrnehmung – zwischen Aberglauben und Zuneigung
Das Bild der Katze war zwiespältig. In vielen ländlichen Regionen galten Katzen – besonders schwarze – noch als Unglücksbringer oder Hexentiere, ein Nachklang des Mittelalters. Gleichzeitig aber begann eine neue Sichtweise: Künstler und Schriftsteller entdeckten die Katze als ästhetisches und geheimnisvolles Wesen. In Gedichten, Zeichnungen und ersten Fotografien tauchte sie nicht mehr nur als Mäusefänger, sondern als eleganter Begleiter auf. Vor allem in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wurde die Katze in wohlhabenderen Kreisen vereinzelt zum Haustier „mit eigenem Platz am Kamin“.
Übergang zur Moderne
Die Jahrzehnte von 1800 bis 1900 markieren damit eine Übergangsphase. Katzen waren unverzichtbar, doch unsichtbar. Sie lebten zwischen Menschen, ohne wirklich zu deren Welt zu gehören. Erst die Entwicklungen des 20. Jahrhunderts – Katzenstreu, industrielles Futter, moderne Tiermedizin – sollten den endgültigen Schritt vom geduldeten Stallbewohner zum geliebten Familienmitglied möglich machen.