Nabeshima
Das mystische Katzenwesen Nabeshima – Die Vampirkatze von Japan
Die japanische Folklore ist voller Gestalten, die zwischen Schutz und Bedrohung wandeln – und Katzen nehmen darin einen besonderen Platz ein. Von der winkenden Glückskatze Maneki Neko bis zu den gefürchteten Kaibyō (Dämonenkatzen) spiegeln sie sowohl Verehrung als auch Furcht wider. Unter diesen Wesen ragt die Vampirkatze von Nabeshima hervor, eine Legende, die bis heute fasziniert.
Ihre Wurzeln liegen in der Edo-Zeit (1603–1868), einer Epoche relativen Friedens, in der Aberglauben und Volksglauben blühten. Manche Forscher vermuten aber, dass die Geschichte schon in der kriegerischen Sengoku-Zeit entstand.
Bekannt wurde die Legende auch im Westen, als der Brite Algernon Mitford sie 1871 in Tales of Old Japan veröffentlichte – mit deutlichem Einschlag zur „Gothic“-Dramatik, die damals in Europa beliebt war.
Die Legende
Die bekannteste Version spielt am Hof des Nabeshima-Clans in der Provinz Hizen. Dort lebte die schöne Kurtisane O Toyo, die vom Fürsten sehr geliebt wurde. Doch eines Nachts wurde sie von einer geheimnisvollen Katze getötet, die ihren Körper verscharrte und fortan selbst in O Toyos Gestalt auftrat.
Als nächtliches Trugbild suchte die Kreatur den Fürsten heim und entzog ihm nach und nach die Lebenskraft. Der Herrscher verfiel in Schwäche und Fieberträume, während Ärzte ratlos blieben. Die Wachen, die ihn beschützen sollten, fielen jedes Mal in tiefen Schlaf – ein Zauber der Katze.
Erst ein einfacher Soldat, Itô Sôda, konnte der List widerstehen. Mit einem Dolch stach er sich in den Oberschenkel, um den Schmerz als Wachhalter zu nutzen. So blieb er bei Bewusstsein und entlarvte die falsche O Toyo. In einem erbitterten Kampf verwandelte sich die Gestalt zurück in eine riesige Katze, die floh und schließlich von einer Jagdtruppe getötet wurde. Der Fürst erholte sich, und Itô Sôda wurde für seine Tapferkeit belohnt.
Andere Varianten knüpfen die Legende an reale Machtkämpfe. So soll eine Katze den untergegangenen Ryuzoji-Clan gerächt haben, oder ein Daimyo sei von einer sieben-schwänzigen Bestie heimgesucht worden. Allen Versionen gemeinsam ist das Motiv der Rache aus dem Jenseits, die Schuldige und ihre Nachkommen heimsucht.
Fähigkeiten der Vampirkatze
Die Nabeshima-Katze gilt als Bakeneko – eine alte Hauskatze, die übernatürliche Kräfte erlangt. Zu ihren besonderen Fähigkeiten gehören:
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Gestaltwandlung in Menschen, meist in O Toyo
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Blutsaugen und Lebenskraft entziehen, ein klassisches vampirisches Motiv
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Menschen einschläfern, selbst ganze Wachen
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Flüche und Besessenheit, die Familien ins Unglück stürzen können
Darüber hinaus teilen Bakeneko oft weitere Eigenheiten: Sie lecken Lampenöl, können tanzen oder sogar sprechen. Manche wachsen zu riesiger Größe heran.
Die Grenzen zur noch furchterregenderen Nekomata sind fließend. Diese Katzenwesen besitzen gespaltene Schwänze, beherrschen Nekromantie und Feuerzauber. Zwar wird der Nabeshima-Katze kein geteilter Schwanz zugeschrieben, doch ihre Grausamkeit und vampirischen Züge erinnern stark an die Nekomata. Das erklärt auch, warum man in Japan Katzen früher oft den Schwanz kürzte – aus Angst vor übernatürlichen Entwicklungen.
Symbolik und Bedeutung
Die Vampirkatze von Nabeshima ist mehr als ein Gruselwesen. In der Edo-Zeit galt die Gesundheit des Fürsten als Symbol für die Stabilität des ganzen Reiches. Ein Herrscher, den eine Katze schwächte, spiegelte Ängste vor verborgenen Gefahren im eigenen Haus wider.
Gleichzeitig war die Katze eng mit Frauen verbunden. Sie galten als anmutig, aber auch unberechenbar – und genau darin lag für die patriarchale Gesellschaft eine Bedrohung. Die Nabeshima-Legende konnte so als Spiegel männlicher Furcht vor weiblicher Selbstbestimmung gelesen werden: eine Frauengestalt, die Macht über Männer gewinnt und deren Kraft entzieht.
In Kunst und Theater fand die Legende großen Widerhall. Kabuki-Stücke griffen sie auf, und Ukiyo-e-Holzschnitte zeigten unheimliche Szenen mit der Katzenfrau. Künstler wie Utagawa Kuniyoshi nutzten solche Darstellungen sogar, um Zensur zu umgehen, indem sie menschliche Figuren in Katzen verwandelten. So wurde die Vampirkatze zugleich Horrorgestalt und Satirefigur.
Nachwirkung
Die Vampirkatze von Nabeshima lebt bis heute fort. In Filmen wie Kuroneko (1968) oder Legend of the Demon Cat (2017) erscheint sie in düsteren Formen. Manga und Anime lassen sie mal schaurig, mal verspielt auftreten. Selbst in niedlichen Popkultur-Varianten schimmert das alte Motiv durch: die Katze als geheimnisvolles Wesen zwischen Schutz und Gefahr.
Fazit
Die Legende der Nabeshima-Katze vereint viele Themen: Rache, Täuschung, Krankheit, weibliche Macht und die uralte Faszination für Katzen. Sie spiegelt historische Konflikte ebenso wie gesellschaftliche Ängste und zeigt, wie eng Tiermythen mit menschlicher Kultur verflochten sind.
Dass die Geschichte über Jahrhunderte überlebt hat, in Theater, Druckgrafik, Literatur und modernen Medien, beweist ihre Kraft. Sie ist weit mehr als ein Märchen – sie ist ein kulturelles Echo, das bis heute nachhallt. Die Vampirkatze von Nabeshima bleibt damit ein zeitloses Symbol für das Geheimnisvolle, das Katzen seit jeher umgibt.