Baíame’s Cat
Baíame’s Cat – Die geisterhafte Katze der Traumzeit
Australien ist reich an Mythen, die in der sogenannten Traumzeit wurzeln – jenem mythischen Urzeitalter, in dem die Welt erschaffen und die Gesetze des Lebens festgelegt wurden. Aus diesen Überlieferungen der Aborigines stammen zahlreiche Gestalten: Schöpferwesen, Totemtiere, Ahnengeister. Unter ihnen nimmt Baíame, der „Vater aller“, eine zentrale Rolle ein. Doch weniger bekannt ist, dass in manchen Traditionen eine katzenartige Begleiterin oder Manifestation Baíames auftaucht – eine geheimnisvolle, schattenhafte Katze, die als Mittlerin zwischen den Welten auftritt.
Diese Baíame’s Cat ist kein weit verbreitetes Wesen wie Bastet oder Nekomata, sondern ein Randphänomen, das sich aus regionalen Überlieferungen, mündlichen Legenden und moderner Deutung zusammensetzt.
Die Gestalt ist faszinierend, weil sie gleich zwei Extreme verbindet: einerseits die Strenge eines Schöpfergottes, andererseits die Unabhängigkeit und das Rätselhafte, das Katzen weltweit anhaftet. So entsteht das Bild einer mythischen Kreatur, die zwischen Mensch und Gott, Traumzeit und Gegenwart, Tierwelt und Geisterreich vermittelt.
Herkunft
Die Überlieferungen zur Baíame’s Cat sind verstreut und nicht einheitlich. Baíame selbst gilt in vielen Stämmen – vor allem bei den Kamilaroi, Wiradjuri und Gamilaraay – als der Schöpfer und Gesetzgeber. Er brachte den Menschen Werkzeuge, Rituale und Moral. Er erschien als übergroßer Mann, oft mit Federkrone, manchmal mit Begleittieren. In wenigen mündlichen Quellen wird erwähnt, dass er von einer katzenhaften Gestalt begleitet wurde, die als Wächter oder als „Augen der Nacht“ diente.
Historisch ist dies spannend, da es in Australien keine domestizierten Katzen vor der europäischen Kolonisation gab. Die Vorstellung einer katzenhaften Gestalt könnte daher auf mehrere Weisen entstanden sein:
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Totemische Projektion: Tiere mit katzenähnlichem Verhalten (z. B. Beuteltiere wie der Quoll oder der inzwischen ausgestorbene Beutelwolf) wurden symbolisch als „Katzen“ gedeutet.
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Übersetzungsphänomen: Europäische Forscher und Missionare, die Traumzeitgeschichten sammelten, beschrieben unbekannte Tiere oft mit vertrauten Begriffen – so könnte aus einem „nachtjagenden Geistwesen“ eine „Cat“ geworden sein.
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Spätere Verschmelzung: In der modernen Deutung werden die Attribute von Baíame mit den weltweiten Symbolen der Katze verbunden – Geheimnis, Wächter, Grenzgänger.
Die Baíame’s Cat ist also ein Hybridmythos: teils authentische Überlieferung, teils kulturelle Übersetzung, teils Weiterdichtung.
Erscheinung
Die Beschreibungen sind naturgemäß vage. In manchen Legenden wird die Baíame’s Cat als riesige schwarze Katze dargestellt, mit Augen, die im Dunkeln wie Glut aufleuchten.
Sie bewegt sich lautlos, fast wie ein Schatten, und kann sowohl körperlich als auch rein geistig erscheinen.
Andere Überlieferungen betonen ihre Gestaltwandler-Fähigkeit: Sie könne zwischen Katze, Beuteltier und schattenhafter Menschenform wechseln.
Ihre Spuren im Sand verschwinden sofort, als ob der Wind sie auslöschen würde.
Besonders auffällig ist ihr Zusammenhang mit dem Himmel: Manche Geschichten sagen, sie bewege sich in der Milchstraße, erscheine als funkelnder Stern oder als Schatten zwischen den Sternbildern. Als irdische Erscheinung sei sie eine Katze, als kosmische Erscheinung ein „Sternenjäger“.
Legenden
Einige überlieferte Geschichten stellen die Baíame’s Cat als Wächterin des heiligen Raums dar. Wenn Baíame seine Gesetze den Menschen offenbarte, schlich die Katze um die Versammlung, um Eindringlinge fernzuhalten. Sie sei zugleich Furcht einflößend und schützend gewesen: Wer reinen Herzens war, konnte sie sehen, ohne Schaden zu nehmen; wer die Gesetze missachtete, wurde von ihrem Blick versteinert oder in die Wildnis verjagt.
Eine andere Erzählung berichtet, die Katze sei eine Verführerin der Nacht. Sie locke neugierige Jäger vom Lagerfeuer weg, tief in den Busch, wo sie sich in Nebel auflöse. Manche kehrten nie zurück, andere kamen verändert zurück – als Schamanen mit besonderem Wissen.
Schamanen berichten bis heute, dass ihnen in Traumreisen manchmal eine katzenhafte Wächterin begegnet.
Sie sitzt still am Rand der Vision, bewegt nur die Augen und beobachtet. Für viele ist sie ein Zeichen, dass die Reise „richtig“ verläuft – doch wer versucht, sie anzufassen oder ihr zu folgen, erlebt oft eine jähe Rückkehr in die Wachwelt. So bleibt sie auch in der spirituellen Praxis ein Prüfstein: Man muss lernen, sie zu respektieren, statt sie zu beherrschen.
Moderne Deutungen, die stark von New-Age-Strömungen beeinflusst sind, machen aus der Baíame’s Cat eine spirituelle Führerin. In Träumen erscheine sie, um den Weg zwischen Alltagsbewusstsein und Traumzeit zu öffnen. Manchmal sei sie eine Botenfigur, die Menschen zu heiligen Orten führt.
Symbolik
Die Symbolik der Baíame’s Cat ist vielfältig:
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Wächterin der Gesetze – Sie verkörpert die Autorität Baíames, ist seine unsichtbare Hand.
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Grenzgängerin – Sie bewegt sich zwischen Welten: Tier und Geist, Erde und Sterne, Traumzeit und Jetzt.
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Schatten und Licht – Ihre dunkle Gestalt schützt, ihr Blick aber kann bestrafen.
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Frauengestalt – Manche Schamanen sehen sie als „feminine Ergänzung“ zu Baíame, als Balance zu seiner strengen Vaterrolle.
So wird die Katze zu einer doppelgesichtigen Gestalt: unheimlich, weil sie verschlingt, aber auch beschützend, weil sie Ordnung wahrt.
Vergleich zu anderen Katzenwesen
Vergleicht man Baíame’s Cat mit anderen mystischen Katzenwesen, fällt auf:
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Wie Nekomata oder Kasha ist sie ein Grenzgänger zwischen Diesseits und Jenseits.
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Wie Mishipeshu hat sie einen kosmisch-naturhaften Charakter, da sie auch mit Sternen verbunden ist.
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Anders als Sekhmet oder Bastet ist sie keine Gottheit, sondern eine Begleiterin eines Gottes – also weniger verehrt, eher gefürchtet.
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Wie die Wampus Cat der Cherokee ist sie zugleich Strafe und Offenbarung: Wer ihr begegnet, ist verändert.
Moderne Wahrnehmung
In der heutigen Zeit taucht die Baíame’s Cat auch in der Kunstszene Australiens auf. Einige indigene Maler stellen sie als geschmeidige schwarze Form im Stil der Punktmalerei dar, andere als sternenübersäte Silhouette, die über der Wüste wacht. In esoterischen Kreisen wird sie gerne als „Führerin in die Traumzeit“ gedeutet, eine Art totemisches Krafttier, das Weisheit und Selbstdisziplin bringt. Auch wenn diese Lesarten nicht immer mit den ursprünglichen Überlieferungen übereinstimmen, zeigen sie doch, dass die Faszination der geheimnisvollen Katze lebendig bleibt.
Fazit
Die Baíame’s Cat ist ein faszinierendes Randwesen der australischen Mythologie – ein Schatten der Traumzeit, der nur selten benannt wird, aber tief mit der Schöpfergestalt Baíame verbunden ist. Sie verkörpert Geheimnis, Autorität und die unsichtbare Seite göttlicher Ordnung.
Ob sie nun tatsächlich in alten Erzählungen der Aborigines vorkam oder erst durch Übersetzungen und moderne Deutungen entstand, spielt fast keine Rolle: Sie hat sich ihren Platz als mystische Katzenfigur erobert.
Im Reigen der Katzenwesen bleibt sie eine Außenseiterin, aber gerade deshalb reizvoll – sie öffnet den Blick für die Vielfalt der Mythen und zeigt, wie selbst dort, wo Katzen ursprünglich unbekannt waren, ihre Symbolkraft wie ein Schatten durch die Geschichten wandert.